Mein Start ins Internet Zeitalter fand Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts statt.
Mein erstes Modem schaffte damals unglaubliche 28000 bps. Das einwählen im Netz war eine unerträgliche Kakophonie für die Ohren. Eigentlich hätte man dafür Schmerzensgeld erhalten sollen. Doch das war erst die Einwahl ins Netz. Wenn man Glück hatte, war gerade kein Stau auf der Datenautobahn und die Webseite hat sich innerhalb 10 Sekunden aufgebaut. Hatte der Webdesigner gerade eine kreative Ader, dann wurde sein Online-Kunstwerk mit allerlei animierten GIFs und Midi-Sounds beladen. Und oben drauf gab es noch einige hochauflösende Bilder mit mehreren 100KB Dateigrösse.
Das Gesicht konnte einem dabei schier einschlafen, wenn man dem Ladevorgang minutenlang zuschauen musste. Quasi Zeile für Zeile, so hatte man den Eindruck, wurden die Bilder aus dem Netz geladen. Gerüchte besagen, dass die Kaffeemaschinenhersteller in dieser Zeit ein besonders hoher Umsatz verzeichnet haben sollen. Oder lag der hohe Umsatz an den ersten Windows Versionen?
Heutzutage denkt man kaum an den Mausklick und Schwups ist das Bild bereits auf dem Monitor gelandet.
Kommen wir also zum eigentlichen Thema. Und zum Start darf ich gleich eine leicht ketzerische Frage stellen: "Warum tun wir uns Funkamateuere eine archaisch anmutende Betriebsart wie SSTV heute überhaupt noch an?"
SSTV erfreut sich auch heute noch grosser Beliebtheit. Sogar über den geostationären Satelliten QO-100 werden die Bilder gesendet. Und wie damals bei den analogen Internet Modems, schläft mir auch beim Empfang der SSTV Bilder beinahe das Gesicht. Nur eine latente Faszination dafür lässt meine Augen auf den Monitor fixieren, während meine Ohren dem rhythmischen Signal lauschen lassen. Dabei wäre es möglich, ein solches Bild über ein Highspeed Internet Anschluss in Millisekunden zu übermitteln . Ok, Highspeed-Internet hat mir der Verkäufer im Elektronikladen Ende der 90er Jahre auch vollmundig versprochen , als er mir ein neues 56000 bps Modem (klang immer noch schrecklich) verkauft hat. Diese Begrifflichkeit scheint bis heute eine Konstante zu haben. Und hier sind wir auch schon beim Kern der Ursache: Wir Funkamateure verfügen über keinen Highspeed Anschluss zur ISS. Vermutlich hätte die NASA auch keine Freue daran, wenn wir ihr TDRS Netz dazu missbrauchen würden :-)
Zugegeben: Der Vergleich SSTV Bildübertragung versus Highspeed-Internet hinkt ja gewaltig. Das schmalbandige SSTV benötigt ja gerade mal knapp 3kHz Bandbreite. Ein äquivalenter Datenstrom in dieser Grösse würde im heutigen Glasfasernetz nicht einmal als eine Anomalie wahrgenommen werden. Als SSTV entwickelt wurde, gab es das weltweite Datennetz auch noch nicht. Die ursprüngliche Technologie zu SSTV stammt aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. NBTV (Narrow Bandwith Television) war der Vorgänger und hatte gerade mal 32 Zeilen Bildgrösse. Im Jahr 1958 entwickelte Copthorne Macdonald VY2CM daraus SSTV. Damals galt dies als grosse technologische Innovation, für welche VY2CM später auch mehrfach ausgezeichnet wurde. Die NASA wurde auf seine Entwicklung aufmerksam.
SSTV wurde zu Beginn des Raumfahrtzeitalters von der NASA als Live-Bildübertragung genutzt. TV-Kameras waren damals noch viel zu gross und zu schwer. Dazu gab es keine Transportkapazitäten in den Raumschiffen. Mit SSTV hatte man innert einer Minute ein "Live"-Standbild: 120 Zeilen x 120 Pixel und schwarz-weiss. Hinweis: Mit NBTV konnten 12,5 Bilder pro Sekunde übermittelt werden. Das ermöglichte eine Art bewegtes Bild mit sehr geringer Auflösung.
Hier ein Beispiel: Astronaut Cordon Cooper während seinem Flug Mercury (Raumschiff Faith-7) - Bild Cedits: NASA, Wikipedia
Da ist es doch erstaunlich, dass tausende Funkamateure weltweit den SSTV Events der Raumstation ISS regelrecht entgegenfiebern. Klar, heute sind die SSTV Bilder farbig und verfügen über eine leicht grössere Auflösung. Wobei diese Auflösung mit keiner Kamera der heutigen Zeit in Relation gebracht werden darf. Und trotzdem nehmen an den SSTV Events der ISS regelmässig die Funkamateure weltweit in grosser Zahl teil.
Pro Überflug der ISS werden maximal 3 Bilder übermittelt, wobei eines davon auf Grund der Dauer des Überflugs mit grosser Wahrscheinlichkeit unvollständig ist.
Die SSTV Aussendungen werden über das MAI-75 Experiment der ISS lanciert. MAI steht für Moscow Aviation Institute. Der SSTV Event findet ca. alle 2-3 Monate statt und wird auf 145.800 Mhz ausgestrahlt. Dabei wird eine Serie von 12 verschiedenen Bildern zur Erde gesandt. Keine Livebilder von einer Kamera, sondern vom Institut vorgefertigte Bildkonserven (Bildserie von derzeit 12 Bildern), die einen Bezug zur (meist russischen) Raumfahrt haben. Es ist eine Einwegkommunikation und somit beschränkt sich die Aktivität auf den reinen Empfang. Die empfangenen Bilder kann man auf der Webseite https://www.spaceflightsoftware.com/ARISS_SSTV/ hochladen, worauf man ein automatisch generiertes Diplom elektronisch erhält. Ziel ist es, jedes Bild während den 48h Aktivitätszeitraum empfangen zu können.
Ich nehme die Events zum Anlass, mit den Signalen zu experimentieren. Das konstante Starke Signal von über einer Minute lässt sich für allerhand Beobachtungen nutzen. Dazu verwende ich jeweils meine WIMO X-Quad. Wenn ich die Antenne automatisch nachführe, und die Polarisationseffekte manuell korrigiere (der Dopplereffekt übernimmt mein Rechner), so empfange ich meistens absolut störungsfreie Bilder.
Vergangene Woche war es wieder so weit. Dieses mal war es mir jedoch nicht möglich, während den Überflügen in meinem Shack anwesend zu sein. Also überliess ich mein Glück meiner grossmehrheitlich automatisierten Station. So habe ich die Polarisation auf rechtszirkular eingestellt und die restliche Arbeit meinem Rechner überlassen. Nur - der hatte wohl seinen Gewerkschaftstag und liess die Rotorsteuerung in den Datenströmen einfrieren. Die Antenne war zu diesem Zeitpunkt sehr ungünstig ausgerichtet. So empfing ich nur wenige Bilder. Gerade mal eines davon fast perfekt. Tja, Murphy war wieder einmal zu Gast bei mir :-)
Immer wieder taucht die Frage auf, ob überhaupt einmal "Live"-Bilder via SSTV aus dem Weltraum via Amateurfunk gesendet wurden. Diese Frage kann ich klar mit "ja" und dem Zusatz "mehrmals" beantworten.
Beim Vorgänger der ISS, der russischen Raumstation MIR, wurden tatsächlich Live-Bilder mit einer Kamera zur Erde gesendet.
Dieses Konzept wurde auch im ARISS Programm angegangen. Und ja, es gibt tatsächlich eine entsprechende Kamera an Bord: Eine Kenwood VC.H1, welche am TM-D700 Transceiver angeschlossen ist. Und sie wurde auch schon mal eingesetzt. Einige Bilder, welche im Jahr 2006 von der ISS gesendet wurden, sind auf der Marex Webseite zu finden.
Die Anschlussfrage liegt somit auf der Hand: "Wieso wird die Kamera nicht öfters eingesetzt, resp. dauerhaft bei einem Fenster montiert?" Diese Frage wurde auch am AMSAT Symposium in Huntsville 2018 dem ARISS Team gestellt. Und die Antwort war logisch: Die Funkstation ist nicht in der nähe eines Fensters montiert. Die Kamera verfügt über einen integrierten Akku und kann daher nur für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden. Das Problem ist jedoch: Die ISS verfügt nicht über genügend Anschlüsse um die Akkus regelmässig wieder aufladen zu können. Die SSTV Kamera hat deutlich zu wenig Priorität an Bord der ISS. Andere Geräte geniessen grössere Priorität für den Ladeprozess.
Deshalb war die Kamera auch nie mehr im Einsatz.
Die soll sich nun ändern: Vor einem halben Jahr wurde der erste Teil des IORS (Interoperable Radio System) zur ISS gebracht. Mit dem speziell für das ARISS Projekt entwickeltem Multivolt-Netzteil, ist es möglich, die ARISS-Station an jeder Spannungsquelle der ISS anschliessen zu können. Nebst dem Anschluss des Transceivers sind auch USB-Ladebuchsen enthalten, von denen es auf der ISS immer zu wenig hat. Natürlich mit dem Ziel, dass diese USB-Buchsen zum Laden der SSTV Kamera in Zukunft genutzt wird.
Aber nicht nur von der MIR und ISS aus wurden live SSTV Bilder gesendet. Auch ARISSat-1 sendete Livebilder zu Erde. Eine Reihe von Cubesats in der Vergangenheit haben ebenfalls mehr oder weniger Erfolgreich SSTV Bilder gesendet. Mit PSAT-2/NO-104 haben wir aber ein derzeit aktiver Satellit im Orbit, der hin und wieder seine Kamera zur Erde ausrichtet und einen Schnappschuss via SSTV zur Erde schickt.
Ja, die Frage, wieso wir uns so eine archaische Betriebsart wie SSTV antun, habe ich wohl nur in einzelnen Zügen beantworten können.
Und schlussendlich ist es jedem Funkamateur selbst überlassen, ob er sich an einem live gesendeten Bild direkt von der ISS mit einer ordentlichen Tasse Kaffee erfreut, oder sich über das Fiberglas, oder dem hyper modernen 5G-Netz, das neueste Katzenvideo auf Youtube anschaut...
Quellen:
SSTV bei Wikipedia deutsch: https://de.wikipedia.org/wiki/Slow_Scan_Television
SSTV bei Wikipedia englisch: https://en.wikipedia.org/wiki/Slow-scan_television
SSTV Bild zu Faith-7: https://en.wikipedia.org/wiki/Slow-scan_television#/media/File:S63-07856.jpg
SSTV auf der MIR: http://www.marexmg.org/fileshtml/howtoisssstv.html
Erfinder des SSTV: http://www.wisdompage.com/aboutcop.html
NASA Inforationen zum MAI-75 Experiment: https://www.nasa.gov/mission_pages/station/research/benefits/mai_75/
Weltweite Bildsammlung SSTV Weltweit: https://www.spaceflightsoftware.com/ARISS_SSTV/
ARISS News mit IORS: https://www.ariss.org/
SSTV Blog von ARISS: http://ariss-sstv.blogspot.com/
NBTV: https://de.wikipedia.org/wiki/Narrow_Bandwidth_Television
PSAT-2: http://aprs.org/psat2.html
PSAT-2 / NO-104: https://de.wikipedia.org/wiki/PSAT-2
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Fritz HB9CSA (Montag, 17 August 2020 07:11)
Obwohl ich mit SSTV so gar nichts am Hut habe, finde ich den Bericht grossartig. Vielen Dank dafür und vy73!
Michi, HB9WDF (Sonntag, 23 August 2020 11:35)
Danke für Deinen Eintrag und Feedback Fritz :-) Freue mich sehr darüber.
73s Michi, hb9wdf